Kommentar von Clément Inbona, Fondsmanager, La Financière de l‘Échiquier
Mehr als sechs Monate nach dem Auftreten der ersten COVID-19-Fälle in China hat sich der Wettlauf gegen die Viruspandemie, der als Sprintwettbewerb begann, Schritt um Schritt zu einem Marathon entwickelt. Die Wundmale dieser Prüfung werden sowohl auf gesundheitlicher als auch wirtschaftlicher Ebene auf Jahre hinaus sichtbar sein.
Zur Gesundheit: Während es den Ländern Europas scheinbar gelungen ist, die ersten Hürden zu nehmen, indem sie die erste Welle eindämmen und durch den Lockdown abebben lassen konnten, gestaltet sich die Lage im Rest der Welt anders. Nachdem im April ein Niveau von rund 80.000 Fällen erreicht worden war, steigt die Anzahl der bestätigten täglichen Neuinfektionen seit Anfang Mai rund um den Globus unaufhörlich an und liegt mittlerweile bei ca. 140.000 Neuinfektionen pro Tag. Der Großteil dieser Neuinfektionen verteilt sich dabei vor allem auf die Schwellenländer Brasilien, Indien, Chile und Indonesien – mit einer Ausnahme: die USA. Seit zwei Monaten nun schon liegen die Ansteckungszahlen in dem Land bei durchschnittlich 25.000 Fällen pro Tag. Dadurch drängt sich eine Schlussfolgerung auf: Die seit März geltenden Empfehlungen der WHO – „aufspüren, testen, isolieren, behandeln“ – sind zwar finanziell kostspielig, scheinen aber durchaus ihre Wirkung zu zeigen. Die Länder, die sich nur in abgeschwächter Form an die Empfehlungen hielten (USA und Brasilien) oder ihnen erst verspätet Folge leisteten (Großbritannien, Schweden), zahlen dafür mittlerweile einen hohen gesundheitlichen Preis.
Bis Ende März orientierten sich die Finanzmärkte am Verlauf der Pandemie. Dies ist nicht mehr der Fall. Die Regierungen und Zentralbanken konnten die weltweite Ausbreitung der Pandemie nicht aufhalten und griffen daher wie die Radrennfahrer Ende der 90er Jahre, zu einem kräftigen Cocktail von Dopingmitteln in Form von geldpolitischen Liquiditätsspritzen, massiven Zuschüssen zum Kurzarbeitergeld, Steuererleichterungen und garantierten Krediten. Die Wirkung ist bereits zu spüren.
Seit Wochen staunen die Ökonomen nicht schlecht, dass die Statistiken besser ausfallen als ihre Prognosen. Das französische Statistikamt Insee beispielsweise korrigierte das Ausmaß der Rezession für das vierte Quartal nach unten auf annualisierte -17 Prozent. Zum Vergleich: In seiner vorherigen Schätzung war das Statistikamt noch von -20 Prozent ausgegangen. Die Verbraucher in Europa und den USA sorgten mit ihren unerwartet hohen Einkäufen seit Mai ebenfalls für eine positive Überraschung.
Genau wie bei Sportwettkämpfen ist das Vertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit mindestens ebenso wichtig wie die Leistungsfähigkeit selbst. Nachdem das Vertrauen der Verbraucher und Unternehmen zu Beginn der Krise einen heftigen Schaden erlitten hatte, festigt es sich inzwischen wieder. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Beschleunigung der Erholung, was die Finanzmärkte offensichtlich gut erkannt haben.
Der weitere Verlauf des Rennens wird weiterhin kurvenreich und holprig sein, doch der Doping-Cocktail, der der Weltwirtschaft verabreicht wurde, zeigt sowohl auf physiologischer als auch psychischer Ebene weiterhin seine Wirkung. Die Märkte kommen nicht umhin, die kurzfristigen Effekte anzuerkennen. Auf längere Sicht wird vermutlich ein Kampf gegen die Nebenwirkungen der Behandlung – den strukturellen Anstieg der Arbeitslosigkeit und die zunehmende Ungleichheit – zu führen sein. Zweifelsohne werden die Doktoren Powell, Lagarde, Macron, Merkel usw. neue Behandlungsmethoden gegen diese beispiellose Bedrohung entwickeln müssen.
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