Wirtschafts- und Finanzausblick
Um die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen, haben Regierungen weltweit große Teile ihrer Volkswirtschaften zum Stillstand gebracht. Zugleich haben sie diesen Bereichen eine schnelle und umfassende Unterstützung zukommen lassen. Die bisher ergriffenen Maßnahmen werden aber trotz ihres Umfangs wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Weltwirtschaft wieder auf Kurs zu bringen.
Weltwirtschaft: Gewaltiger Schock
Der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit war überall so drastisch, dass es schwierig ist, dessen Ausmaß zu erfassen. Ebenso schwierig ist es, vorherzusagen, wie schnell sich die Weltwirtschaft wieder erholen wird. Schwer zu prognostizieren ist darüber hinaus auch das Ausgabeverhalten der Haushalte nach dem Ende der Corona-Maßnahmen: Die gestiegene Ungewissheit, die entstandene Konzentration der überschüssigen Ersparnisse bei den Reichsten der Bevölkerung, aber auch eine mögliche Entwicklung hin zu einem sparsameren Konsum könnten zu einer nur schwachen Erholung führen.
„Außerdem ist das Ausmaß der Schäden, die das wirtschaftliche Gefüge genommen hat, noch weitgehend unbekannt“, sagt Anton Brender, Chefökonom von Candriam. In den meisten Industrieländern haben die Regierungen zwar energisch gehandelt und den größten Teil der Lohn- und Gehaltseinbußen durch Hilfen ausgeglichen. Doch nirgendwo haben sie die schwindenden Betriebsergebnisse der Unternehmen kompensiert. In den Vereinigten Staaten wie auch in Europa könnten sich die Verluste der Unternehmen auf zwischen 15 und 30 Prozent ihrer Investitionsausgaben belaufen. Ohne zusätzliche fiskalpolitische Anreize ist es wenig wahrscheinlich, dass die Investitionen in die Produktion schnell wieder das Niveau von vor der Krise erreichen werden und die Wirtschaftstätigkeit könnte für lange Zeit schwach bleiben.
USA: Von der gesundheitlichen zur politischen Krise
In den USA scheint der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit weniger stark zu sein als im Durchschnitt der Länder der Eurozone. „Dennoch hat die Krise die Sektoren mit den großen Arbeitgebern nicht minder hart getroffen“, ergänzt Brender. Trotz massiver fiskalpolitischer Unterstützung, einschließlich eines Anreizes für kleine Unternehmen zum Stellenerhalt – das Paycheck Protection Program – ist die Arbeitslosenquote im April auf 20 Prozent gestiegen, um im Mai wieder ein wenig zurückzugehen. Ebenso spektakulär war der explosionsartige Anstieg der Sparquote der Haushalte: Sie spiegelt einen deutlichen Konsumrückgang und eine relative Stabilität ihrer Einkünfte dank des Anstiegs der erhaltenen Staatshilfen wider. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Demokraten und Republikanern über die Hilfen für Bundesstaaten und Kommunen behindern im Moment den Abschluss einer neuen Haushaltsvereinbarung. Die nahenden Präsidentschaftswahlen und die Verschlechterung der politischen Lage durch die jüngste Zuspitzung der Unruhen in den USA könnten für Druck sorgen, einen Kompromiss zu finden. Vor diesem Hintergrund würde das US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) Ende 2020 immer noch fünf Prozent unter dem zu Jahresanfang erwarteten Niveau liegen und die Wirtschaft würde im Jahresdurchschnitt um fast 6,5 Prozent schrumpfen.
Eurozone: Endlich ein solidarischer Akt
In der ersten Jahreshälfte war der Konjunkturrückgang infolge der Gesundheitskrise in drei der vier größten Ländern der Region – Frankreich, Italien und Spanien – besonders ausgeprägt. Trotz der allmählichen Lockerung der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen war die europäische Wirtschaft Anfang Juni noch weit davon entfernt, wieder eine normale Aktivität erreicht zu haben. „Ohne zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen ist eine Rückkehr auf das Niveau vor Ausbruch der Krise bis zum Ende des Jahres wenig wahrscheinlich“, meint Florence Pisani, Global Head of Economic Research bei Candriam. Vor allem werde „diese Krise die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten vergrößern“, so Pisani weiter.
Sollte die Wirtschaftstätigkeit der Eurozone im Jahr 2020 im Durchschnitt um etwas mehr als acht Prozent sinken, wäre der Rückgang in Frankreich, Italien oder Spanien wesentlich stärker (zwischen minus 10 und 12 Prozent) als in Deutschland (minus 6 Prozent). Daher ist das von der Europäischen Kommission angebotene Programm Next Generation EU zu begrüßen: Die am stärksten betroffenen Volkswirtschaften werden davon am meisten profitieren. Darüber hinaus werden von den 750 Milliarden Euro des Programms 500 Milliarden als Hilfen und nicht als Darlehen vergeben. Indem die Kommission schließlich versucht, das Verbot der EU, ihren Haushalt mit Krediten zu finanzieren, zu umgehen, schafft sie die Grundlagen für einen echten Hilfsmechanismus innerhalb der Europäischen Union.
„Die Zeit, die für europäische Entscheidungsprozesse benötigt wird, ist jedoch zu lang, um hoffen zu können, dass dieses Programm die Wirtschaftstätigkeit im Jahr 2020 unterstützen wird“, warnt Florence Pisani. Vor allem, selbst wenn dieses Projekt, das die Zustimmung der 27 Mitgliedstaaten erfordert, verabschiedet wird, „müssen wir noch viel weiter gehen, wenn wir vermeiden wollen, dass die Märkte regelmäßig die Tragfähigkeit der italienischen Staatsverschuldung und schließlich die Integrität der Eurozone in Frage stellen“, kommt Florence Pisani zum Schluss.
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