Kommentar von Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel
- Das Kapitalmarktumfeld: Coronakrise und andere neue und alte Sorgen
Europa und die USA befinden sich mittlerweile in Phase III der Coronakrise, die durch langsame Lockerungen der Shutdowns und die einsetzende wirtschaftliche Wiederbelebung gekennzeichnet ist. Die derzeit veröffentlichten volkswirtschaftlichen Daten verdeutlichen allesamt den massiven gesamtwirtschaftlichen Einbruch im März und April mit kollabierenden Auftragseingängen, Industrieproduktionsdaten und Einzelhandelsumsätzen. Das US-Wirtschaftswachstum für das erste Quartal 2020 wurde mit etwa -1,25 Prozent (-5 Prozent annualisiert) berechnet. Die US-Arbeitslosenquote sprang im April um über 10 auf 14,7 Prozent. In Deutschland sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der ersten drei Monaten des Jahres um 2,2 Prozent. Die deutsche Industrieproduktion fiel im März um 11,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wobei die Autoindustrie mit einem Minus von über 30 Prozent besonders betroffen war. Klar ist, dass die kommenden volkswirtschaftlichen Daten für das zweite Quartal noch desaströser ausfallen werden.
Die vorlaufenden Konjunkturindikatoren, wie die Einkaufsmanagerindizes, der ifo-Geschäftsklimaindex oder Verbrauchervertrauensindizes deuten indes eine leichte Erholung von den Tiefstniveaus an, verbleiben allerdings weiterhin im kontraktiven Bereich. Eine entscheidende Komponente für die beginnende Erholungsphase wird der private Konsum sein, der jedoch aus verschiedenen Gründen noch länger verhalten bleiben dürfte. So ergab die jüngste Umfrage zur Ermittlung des GfK-Konsumklimas in Deutschland, dass die Angst vor Einkommens- oder Jobverlusten weiterhin die Anschaffungsneigung dämpft. Vor diesem Hintergrund ist das Szenario einer „V“-förmigen wirtschaftlichen Erholung nicht mehr realistisch. Positiv wirkte in diesem Umfeld der Vorschlag der EU-Kommission über einen Wiederaufbaufonds mit einem Volumen in Höhe von 750 Mrd. Euro, dessen Einzelheiten allerdings noch ausgehandelt werden müssen.
Im Schatten der Coronakrise fanden in den letzten Wochen einige Verhandlungsrunden zwischen der Europäischen Union und Großbritannien zum anstehenden Brexit statt, die jedoch allesamt keine Erfolge zeigten. Da die Frist für die Beantragung einer verlängerten Verhandlungsphase Ende Juni ausläuft und der britische Premierminister Boris Johnson diese weiterhin ablehnt, dürfte die Möglichkeit eines ungeregelten Brexits in den kommenden Wochen erneut in den Fokus rücken. Zudem verunsicherten zuletzt die wieder zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA mit der Möglichkeit eines erneut eskalierenden Handelskonfliktes sowie die sozialen Unruhen in den USA.
- Zinsen: steigende Renditen, sinkende Risikoprämien
Die Renditen für deutsche Staatsanleihen stiegen über die gesamte Laufzeitenkurve hinweg. So rentierte eine 10-jährige Bundesanleihe Ende Mai nur noch knapp unter -0,40 Prozent p.a., während die Rendite bei 30 Jahren Laufzeit mit 0,08 Prozent p.a. sogar wieder im positiven Bereich liegt. Risikoprämien fielen sowohl für Staatsanleihen der südlichen Eurozonenstaaten als auch für Unternehmensanleihen teilweise deutlich.
- Aktien: fortgesetzter Aufwärtstrend
Der deutsche Leitindex DAX gab nur zwischenzeitlich auf 10.160 Punkte nach, um danach seine Aufholbewegung bis auf knapp 11.600 Punkte Ende Mai fortzusetzen. Damit verblieb per Saldo ein Monatsplus von knapp 7 Prozent. Dabei konnten in der zweiten Monatshälfte besonders die zuvor vergleichsweise verlustreichen Branchen Autos und Banken profitieren. US-Aktien des S&P 500 legten um knapp 5 Prozent zu.
- Währungen: Euro deutlich fester
Im Zuge der wieder steigenden Risikoneigung an den Kapitalmärkten wertete der Euro im Vergleich zum US-Dollar von knapp 1,10 auf 1,11 EUR/USD auf. Auch gegenüber dem Schweizer Franken und im Vergleich zum britischen Pfund konnte die Gemeinschaftswährung von 1,056 auf 1,072 EUR/CHF bzw. von 0,87 auf 0,90 EUR/GBP zulegen.
- Rohstoffe: Rohöl erholt, Gold stabil
Der Preis für eine Unze Gold stieg im Monatsverlauf leicht auf 1.712 US-Dollar. Deutlich erholen konnten sich die Rohölnotierungen. So stieg der Kurs der Nordsee-Sorte Brent von gut 25 auf über 35 US-Dollar pro Barrel an. Neben der Aussicht auf eine zunehmende Konjunkturdynamik im zweiten Halbjahr 2020 sorgten Produktionskürzungen wichtiger Förderstaaten für eine Stabilisierung der Kurse.
- Implikationen für Kapitalanleger
Die Länge und Dynamik der Kurserholung an den internationalen Aktienmärkten überschreiten mittlerweile wohl die optimistischsten Erwartungen der meisten Anleger. Angesichts des massiven wirtschaftlichen Einbruchs, des immer deutlicher werdenden verzögerten Aufschwungs, perspektivisch rasant steigender Staatsschulden und der allgegenwärtigen Befürchtung einer möglichen zweiten Infektionswelle wäre eine zweite Abwärtsbewegung nach der deutlichen Erholung seit Mitte März nicht ungewöhnlich. Offensichtlich sorgen aber die Aussicht auf weitere Lockerungen der Shutdowns sowie vor allem die Billionenschweren fiskal- und geldpolitischen Hilfspakete verbunden mit einem wohl noch jahrelang anhaltenden Niedrigzinsumfeld für Umschichtungen in Risikoanlagen, wie Aktien oder Unternehmensanleihen. Dabei verstärkt sich die Aufwärtsbewegung selbst, denn weiter steigende Kurse ziehen immer mehr Kapital an die Börsen. Skeptische Anleger halten aber auch die Nachfrage nach Gold als sicheren Hafen hoch. Es ist tatsächlich kaum davon auszugehen, dass die unerwartete Hausse in den kommenden Wochen ungebremst weiterläuft.
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