Kommentar von René Kerkhoff, Analyst für die Sektoren Technologie, Automotive und Retail sowie Fondsmanager des DJE – Mittelstand & Innovation bei der DJE Kapital AG
Der Technologiesektor (IT) ist global eines der wichtigsten Zugpferde der Weltwirtschaft. Das ändert auch die aktuelle Corona-Pandemie nicht. Im Gegenteil: In und nach der Krise werden neue digitale Lösungen verstärkt nachgefragt.
Der Blick auf die Indizes zeigt das Potential: Allein der Nasdaq 100, der viele der US-Technologie-Aktien abbildet, konnte seit Mitte 2008 um mehr als 300 Prozent steigen. Im Vergleich dazu legte der S&P 500 im gleichen Zeitraum um knapp 140 Prozent zu. In den USA kommen die größten börsennotierten Firmen nach Marktkapitalisierung nicht ohne Grund aus dem Technologiesektor. Zudem gibt es in Amerika weltweit die meisten Technologieunternehmen. Attraktive regulatorische Rahmenbedingungen, geringe Sprachbarrieren, gezielte Hochschulförderung, gute Bezahlung für Talente und deutlich bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Venture Capital/Risikokapital sind nur einige Gründe für diese Vorreiterstellung. IT umfasst dabei alle Sektoren der Informations-, Kommunikations- und Datenverarbeitung. Derzeit besonders vielversprechend sind unter anderem die Teilbereiche Cloud, Software und Künstliche Intelligenz (KI).
IT-Sektor mit soliden Bilanzen und starken Cashflows
Der IT-Sektor von heute ist – anders als in früheren Zeiten – geprägt von soliden Bilanzen und starken Cashflows. Dies resultierte in den vergangenen Jahren in steigenden Dividenden und Aktienrückkäufen, was wiederum den Aktionären von IT-Unternehmen zugutekam. Seit der US-Steuerreform, die zum Jahresanfang 2018 in Kraft trat und die Zurückholung von im Ausland angehäuften Gewinnen attraktiver machte, ist der USamerikanische IT-Sektor diejenige Branche, die das meiste Geld ins Heimatland zurückführte. Große Anteile dieses Kapitals sind seither an die Aktionäre geflossen.
Aber nicht nur die Rückflüsse an Aktionäre machen die Aktien so attraktiv, sondern global betrachtet profitieren die IT-Unternehmen von starken Gewinnwachstumsraten. Diese sind größtenteils der voranschreitenden Digitalisierung zu verdanken: Technologie ist heute in allen Branchen zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor geworden. Wer nicht mitzieht, bleibt im Wettbewerb schnell auf der Strecke. Unternehmen weltweit haben erkannt, wie wertvoll ihre Daten sind. Folglich erhöhen sich global die Investitionen in Softwarelösungen, Big Data, Künstliche Intelligenz und Cloud Computing.
Branchenübergreifend: Steigende Investitionen in Digitalisierung
Die weltweiten Ausgaben für IT werden in diesem Jahr laut dem Forschungsinstitut Gartner voraussichtlich 3,9 Billionen US-Dollar betragen. Dies entspricht einer Steigerung von 3,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für 2021 werden die weltweiten IT-Ausgaben auf über vier Billionen US-Dollar prognostiziert. Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen gewinnen immer mehr an Bedeutung, und Unternehmen investieren zunehmend in Digitalisierungsmaßnahmen. Die Höhe der Investitionen schwankt allerdings je nach Branche stark.
Die Einstellung entsprechend qualifizierter Mitarbeiter, der Ausbau von CloudKapazitäten, der Ausbau softwaregesteuerter Datenanalysen sowie der Einsatz intelligenter Technologien gehören zu den wichtigsten Maßnahmen, um die
Digitalisierung erfolgreich zu gestalten. Die größte Bedeutung wird aktuell der Investition in Cloud-Kapazitäten beigemessen. Der europäische Markt wächst im Bereich der Digitalisierung seit Jahren konstant. Im internationalen Vergleich sind die USA und auch China mit deutlich höheren Wachstumsraten und einer höheren Basis allerdings weit voraus. Ob die europäische Wirtschaft in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben kann, hängt maßgeblich von der Digitalisierung ab.
Krise als Beschleuniger
Die Nutzung von Cloud-Diensten ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen, mehr als 70 Prozent aller IT-Services werden inzwischen aus einer Cloud bereitgestellt. In Zeiten von Home Office, Home Schooling & Co. dürfte sich der Trend zuletzt nochmals verstärkt haben. Cloud-Dienste haben den Vorteil, dass Kapazitäten nicht lokal bereitgestellt werden müssen und je nach Bedarf einfach angepasst werden können. Während die Cloud größtenteils von den Unternehmen selbst betrieben wird, greifen sie für die der Cloud zugrunde liegenden Datenplattform fast ausschließlich auf externe Anbieter zurück. Durch die immer stärkere Nutzung der Cloud-Dienste steigt deshalb auch die Abhängigkeit von den größtenteils nichteuropäischen Anbietern. Zu den aktuell größten Cloud Anbietern zählen Amazon, Microsoft, Alphabet und Alibaba.
Nach Angaben von Gartner wird der weltweite Markt für Public-Cloud-Services von 214,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 auf 249,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 ansteigen. Darin ist „Software as a Service“ (SaaS) weiterhin das größte Marktsegment, welches im kommenden Jahr voraussichtlich 110,5 Milliarden US-Dollar groß sein wird. Trotzdem liegt die weltweit geschätzte Cloud-Durchdringung aktuell erst zwischen 10 bis 20 Prozent. Daran erkennt man das zukünftige Wachstumspotenzial des Marktes.
Subskriptionsmodelle: verlässliche Einnahmen für Softwareanbieter
Täglich benutzen Menschen weltweit bewusst und unbewusst Software. Bei einem Notebook oder PC ist das Betriebssystem genauso eine Software wie die darauf installierten Programme und jegliche Daten, die damit erzeugt werden. Aber auch andere Systeme sind softwaregesteuert, hier ist die Software fest mit der Hardware verankert und wird daher als “embedded system” bezeichnet. Einerseits sind wir inzwischen in fast allen Lebensbereichen von Software abhängig – andererseits macht sie uns und unseren Alltag effizienter.
Eine der großen Veränderungen der letzten Jahre war die Umstellung auf das Subskriptionsmodell. Hierbei handelt es sich um ein (digitales) Geschäftsmodell, bei dessen Basisform der Anbieter eine definierte Leistung verkauft und der Kunde für deren Nutzung regelmäßig bezahlt. Das Geschäftsmodell ist alt: Zeitungsabonnements und Vereinsmitgliedschaften sind typische Formen von Subskriptionsmodellen. In der Digitalwirtschaft ist das Modell dagegen relativ neu. In großem Stil kam es bei „Software as a Service“ (SaaS) auf. Anders als im traditionellen Softwarevertrieb, bei dem eine Softwarelizenz individuell gekauft und lokal installiert wird, nutzen Unternehmen oder Privatpersonen im Subskriptionsmodell eine Anwendung unter anderem mit einem Browser über das Internet und zahlen für die Nutzung, nicht für das Programm selbst.
Updates und Wartung der Software entfallen.
Bezahlt wird üblicherweise eine monatliche Gebühr pro Anwender, oft ergänzt um eine Zusatzgebühr oberhalb eines genutzten Datenvolumens. Die Vorteile dieses Geschäftmodells sind wiederkehrende Einnahmen, ein stabiler Cashflow und dauerhafte Kundenbindungen – man könnte auch von einer gewissen Abhängigkeit sprechen. Einige Softwareunternehmen können über 90 Prozent ihrer Umsätze als wiederkehrend verbuchen. Das ist für Investoren gerade in Zeiten interessant, wenn die konjunkturelle Lage ungewiss ist.
Europa: Achtung, nicht den Anschluss verlieren!
US-Unternehmen investieren besonders gerne in hochmoderne Software. So liegt der weltweite Anteil der USA an KI-Software bei ca. 80 Prozent und der Marktanteil von Big Data bei über 50 Prozent. Die Unternehmen steigern dadurch ihre Produktivität und Effizienz. Wer dagegen die Techniken erst nutzt, wenn sie schon verbreitet und etabliert sind, kann sich keine Wettbewerbsvorteile mehr erarbeiten.
Europäische Unternehmen zählen regelmäßig nicht zu den Pionieren bei neuen Anwendungen.
Europa kann den USA auch nur ein großes Software-Unternehmen entgegensetzen – den globalen Player SAP. Insgesamt kann Europa derzeit nicht mit der Marktmacht aus den USA und China konkurrieren. Generell gilt, dass die Europäer stärker in Softwarelösungen investieren müssen, um die immer stärkere Abhängigkeit von den Amerikanern zu reduzieren.
Künstliche Intelligenz: Grundstein für Technikstandards von morgen
KI ist in der Lage, selbstständig zu lernen, Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Damit ist KI zukunftsweisend für viele Sektoren, unter anderem kognitive Assistenten, Robotik, smarte Geräte, automatisierte Analysen, Bildverarbeitung und medizinische Diagnose. Aktuell ist KI noch ein „Nischenthema“, auf das sich nur wenige Unternehmen konzentrieren. Die meisten Menschen verbinden KI hauptsächlich mit autonomem Fahren oder Spracherkennungssystemen. KI legt den Grundstein für die Standards der Technik von morgen. Vor allem die USA und China haben im Bereich der künstlichen Intelligenz in den letzten Jahren stark investiert: Die Ausgaben für intelligente Technologien sind von 10 auf 14 Prozent des gesamten IT-Budgets gestiegen. Diese Investitionen haben auch zu zahlreichen Patentanmeldungen geführt. IBM ist hier Spitzenreiter mit 8.920 Patenten, gefolgt von Microsoft mit 5.930 Patenten und verschiedenen asiatischen Technologieunternehmen, darunter Alibaba und Baidu. Die USA und China haben den Wettbewerbsvorteil relativ niedriger Datenschutzbestimmungen, so dass die Unternehmen auf große Datensätze zugreifen können, ohne die die Forschung und Entwicklung im Bereich KI nicht möglich wäre.
Softwarebranche – aktuell gute Chancen in Krisenzeiten
Generell gilt: Technologieunternehmen bieten für Anleger gute Investitionschancen. Die Branche vereint als eine der wenigen größtenteils solide Bilanzen mit hohen Wachstumsraten, wodurch die erhöhten Bewertungen gerechtfertigt werden.
Vor allem die Softwarebranche ist spannend. In ihr konzentriert sich ein hohes, skalierbares Wachstum durch tendenziell wachsende Digitalisierungsinvestitionen. Ihren Anlegern bietet sie auch in unsicheren Zeiten stetige Cashflows, getrieben durch Subskriptionsmodelle und damit wiederkehrende Umsätze. Aufgrund von ihrer geringeren Verschuldung und meist wiederkehrenden Umsätzen haben Softwareunternehmen einen defensiveren Charakter und sind gerade in Krisenzeiten im Vergleich zu zyklischen Industrien nicht so anfällig. Der strukturelle Trend der Digitalisierung wird sich durch die Krise noch weiter beschleunigen, dadurch werden Softwareunternehmen langfristig auch nach der Krise höhere Wachstumsraten aufrecht halten können.
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