Von Björn Siegismund, Chief Investment Officer der Kapilendo AG
Wer sich im April 2010 eine Aktie der Lufthansa, eines der führenden internationalen Luftfahrtunternehmen mit sehr qualifiziertem Personal und einem exzellenten Management, ins Depot gelegt hat, verzeichnet zehn Jahre später, im April 2020, ein Minus von 18,2% – inklusive der ausgezahlten Dividenden. “Die Anleger würden heute besser dastehen, wenn die Gebrüder Wright beim Erstflug abgestürzt wären”, äußerte sich der Investor Warren Buffett vor einigen Jahren dementsprechend kritisch zum Thema Aktien von Luftfahrtunternehmen. Die Aktie der Lufthansa ist jedoch nur ein Beispiel für eine sehr bescheidene Aktienperformance über einen Zeitraum von immerhin 10 Jahren. Aktionäre der Daimler AG teilen ein ähnliches Schicksal. Das wirft die Frage auf, ob eine vergleichsweise naiv aufgebaute, langfristige Anlagestrategie in sogenannte Blue Chips oder auch Qualitätstitel in der heutigen Anlagewelt noch zielführend ist.
Drei Systemschocks in den vergangenen 30 Jahren
Tatsächlich haben die meisten der heute aktiven Anleger bereits mehrere krasse historische Einschnitte erlebt. Nach den linearen Jahrzehnten des Kalten Krieges waren die vergangenen 30 Jahre eine Epoche der systemischen Schocks – die Corona-Krise ist in diesem Zeitraum bereits die dritte dramatische Zäsur. Der erste Systemschock war der 11. September 2001. Der islamistische Terrorismus – bis dahin ein Expertenthema – wurde plötzlich zur Bedrohung für den Lebensstil der westlichen Welt. Im Jahr 2008 dann erschütterten die Finanzkrise und Euro-Krise die Welt. Pleiten von Banken und Staaten, eine Kernschmelze des Weltfinanzsystems waren plötzlich reale Szenarien, die das Leben aller Menschen betrafen. Aktuell befinden wir uns in der akuten Phase der dritten systemischen Krise in den vergangenen 10 Jahren. Wie am 11. September wird die Gesellschaft plötzlich erneut mit einer Bedrohung konfrontiert, die man bis dato nur in Katastrophenfilmen gesehen hatte.
Mittelfristige wirtschaftliche Folgen gravierend
Die wirtschaftlichen Folgen wiederum werden voraussichtlich mindestens so gravierend sein wie in der Finanz- und Euro-Krise. Ganz bewusst werden die damals eingesetzten Rezepte nun wieder angewendet. Ohne Zweifel stehen wir aktuell vor dem Risiko einer tiefen Wirtschaftskrise, aus der nicht zuletzt auch eine neue Euro-Schuldenkrise resultieren kann. In der Angst vor dem Virus achtet derzeit kaum noch jemand auf die mittelfristigen Auswirkungen – von ansteigender Inflation über andauernde Negativzinsen zu realen Vermögensverlusten- der Billionenbeträge, die derzeit von Notenbanken und Regierungen eingesetzt werden, um die Wirtschaft und die Finanzmärkte zu stabilisieren.
Systemische Krisen – das “Neue Normal”
Eine Rückkehr in die lineare Welt von 1960-1990 wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Systemische Krisen sind das “Neue Normal”. Die Covid-19-Pandemie wird voraussichtlich stärker als die meisten vorherigen Krisen dauerhafte Spuren in unserem Alltag hinterlassen und die Entwicklung der Anlageportfolios nachhaltig beeinflussen. Nichtsdestotrotz bietet die aktuelle Krise eine Vielzahl an Chancen für Anleger. Jetzt gilt es, die richtigen, vermögenssichernden Entscheidungen zu treffen. Auf kürzere Sicht können Anleger nach Aktien und Anleihen Ausschau halten, die im von Angst geprägten Umfeld überverkauft sind. Mittelfristig ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, die potentiellen Gewinner in einer Zeit wiederkehrender, systemischer Krisen zu identifizieren und entsprechend zu investieren.
Fokus auf “Bilanzbollwerk”
Hierbei sollte der Fokus auf Aktien von Unternehmen gerichtet werden, die über ein entsprechendes “Bilanzbollwerk” verfügen, um aus jeder Krise als Gewinner hervorzugehen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Aktie von Alphabet. Das Unternehmen verfügt über mehr als 120 Mrd. US-Dollar an liquiden Mitteln. Das bedeutet, dass es über enorme Ressourcen verfügt, um einen erheblichen Rückgang der Werbeausgaben in diesem Jahr zu überstehen und gleichzeitig aggressiv zu handeln, wenn sich attraktive Opportunitäten in der Krise bieten. Aber auch Unternehmen wie Apple, Amazon und Microsoft sind Beispiele für Unternehmen mit hohen Reserven und einem widerstandsfähigem Geschäftsmodell.
Mit unseren aktuellen Aktienkäufen erwarten wir keine schnellen Gewinne. Wir halten es sogar für durchaus wahrscheinlich, dass Aktienmärkte in den kommenden Wochen wieder nachgeben, wenn die vollen wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie deutlicher werden. Aber selbst wenn die Aktien der Unternehmen mit “Bilanzbollwerken” in den nächsten Wochen nochmals günstiger werden, sind wir voll und ganz davon überzeugt, dass wir auf Sicht von wenigen Jahren erhebliche Kursgewinne sehen werden, da wir in einer Epoche systemischer Schocks eine bewusste Auswahl von Aktien krisenresistenter Unternehmen treffen.
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