Sind nach dem zweistelligen Kurssturz der letzten Woche jetzt alle wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 in den Aktienkursen berücksichtigt? Und reichen die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen, um die Wirtschaft vor dieser Bedrohung zu schützen?

 

Auch wenn die Antworten darauf erst in einigen Monaten klar sein werden, gibt Joseph V. Amato, Chief Investment Officer Equities bei Neuberger Berman, in seinem aktuellen Kommentar eine Einschätzung zu den derzeitigen Marktturbulenzen und bleibt vorsichtig: „Die Erfahrungen aus anderen Ländern sprechen dafür, dass insbesondere die USA den Höhepunkt der Krise in 45 bis 60 Tagen erleben wird. Erst dann wird wirklich klar sein, ob genug getan wurde, um Unternehmen und Konsum am Laufen zu halten. Bis dahin könnten Aktien wie Credits durchaus noch einmal einbrechen.“

  • Es besteht kein Zweifel: Die weltweite Rezession hat begonnen nachdem Europa und ein Großteil der USA zum Stillstand gekommen sind
  • Die Krise trifft überproportional kleine Unternehmen, Arbeitsplätze werden wegfallen und das US-Bruttoinlandsprodukt könnte im zweiten Quartal um 10 Prozent einbrechen – das wäre nur geringfügig weniger als 1932, bei dem bisher schlimmsten Einbruch um damals 13 Prozent
  • Whatever it takes: Notenbanken und Politik tun alles, um einen Börsencrash zu stoppen und die Wirtschaft am Laufen zu halten – noch ist aber unklar, ob die Maßnahmen ausreichen
  • Nach einem Kursrutsch dieser Größenordnung halten wir den Kauf von risikobehafteten Wertpapieren für verfrüht. Eine Umschichtung in krisenfestere Marktsegmente, etwa in amerikanische Large Caps und Investmentgrade-Credits, könnte jetzt jedoch sinnvoll sein

Weltweite Rezession

Europa und ein Großteil der USA sind zum Stillstand gekommen, somit sind die letzten Zweifel zerstreut: Die weltweite Rezession hat begonnen.

Anders als 2008 braucht man kein Detailwissen über die Funktionsweise des Bankensystems, um zu verstehen, was gerade passiert. Wir nehmen Zuflucht in unseren Wohnungen, niemand geht irgendwohin. Wenig wird produziert, wenig gekauft.

Der Versuch durch soziale Distanzierung und Selbstisolation den Anstieg der COVID-19-Erkrankungen zu verlangsamen und zeitlich zu strecken, rettet Leben und bewirkt hoffentlich, dass die Gesundheitssysteme nicht zusammenbrechen. Aber all das hat seinen Preis: Die Wirtschaft wird damit länger und stärker geschwächt.

Ein Teil des Nachfrageausfalls der nächsten Monate wird wieder ausgeglichen, aber eben nur ein Teil. Wenn Sie jetzt kein neues Auto kaufen, werden Sie es wohl irgendwann nachholen. Aber wenn Sie auf einen Restaurantbesuch verzichten müssen, werden Sie beim nächsten Mal nicht doppelt so viel essen.

Die Rezession wird viele Arbeitsplätze kosten und vor allem kleine Unternehmen werden überproportional leiden. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird vermutlich so stark einbrechen wie noch nie zuvor. Aber für wie lange?

Der aktuelle Nachfrageschock wirft eine brutale Frage auf, die fast jeden betrifft: Haben Sie genug Geld, um in den nächsten drei Monaten Ihre Rechnungen zu bezahlen? Weltweit gibt es viele kleine und mittelgroße Unternehmen, die dies nicht von sich sagen können – egal, wie vorausschauend sie wirtschaften. Große multinationale Konzerne können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen und sie vier Monate später wiedereinstellen. Wenn aber Firmen mit nur 50 oder 100 Beschäftigten untergehen, kann es Jahre dauern, diese neu aufzubauen und die Arbeitsplätze zurückzugewinnen.

Das Drehbuch von 2008 – und Whatever it takes

Letzte Woche haben Regierungen und Notenbanken den Ernst der Lage erkannt. Ihnen wurde klar, dass man Unternehmen und Privathaushalte mit Finanzspritzen retten muss.

Die Geldpolitik reagierte entschlossen: Die Fed hat die Zinsen auf null gesenkt und ihr Drehbuch von 2008 wieder hervorgeholt. Weltweit wurde durch eine Lockerung der Swap-Linien zusätzliche Dollar-Liquidität zur Verfügung gestellt, ein 700 Milliarden US-Dollar schweres Quantitative-Easing-Programm soll Geldmarktfonds mit Liquidität versorgen und eine Commercial Paper Funding Facility (CPFF) soll kurzfristige Finanzierungsprobleme von Unternehmen gezielt angehen. Die Bank of England griff zu ähnlichen Maßnahmen, ergänzt um Zinssenkungen und zusätzliche Wertpapierkäufe. Die japanische Notenbank verdoppelte ihr diesjähriges Aktienkaufziel, ergänzt um ein neues Kreditprogramm für Unternehmen mit einem Zins von null.

Nach anfänglichem Zögern und nicht immer klarer Kommunikation wurde dann auch die Europäische Zentralbank wach. Ihr Wertpapierkaufprogramm – 750 Milliarden Euro Volumen schwer, verteilt auf Titel staatlicher und privater Emittenten – bietet maximale Flexibilität. Außerdem sollen im Rahmen der schon existierenden Programme sogenannte Commercial Papers, also Firmenanleihen mit guter Kreditqualität, gekauft werden.

Bei der Fiskalpolitik stehen die Zeichen auf Helikoptergeld. Die USA dürften bedürftigen Privatpersonen jeweils 1.200 US-Dollar in Form von Steuervergünstigungen zukommen lassen. Japan hat so etwas bereits in der Finanzkrise getan und erwägt zurzeit eine Neuauflage. Deutschland will nicht nur die verfassungsmäßige Schuldengrenze aufheben, um ein Hilfsprogramm zu ermöglichen, sondern drängt auch die Finanzminister des Euroraums zur Emission gemeinsamer Anleihen – ein enormer Schritt. Die Titel würden dann vermutlich von der EZB gekauft.

All dies kommt mit einem enormen Tempo, wie die Epidemie selbst. Zum Vergleich: In der Finanzkrise 2008/2009 hat die Fed erst im Dezember 2008 die Zinsen auf null gesenkt. Zwar gab es in den letzten Monaten 2008 einige konkrete Maßnahmen wie das Rettungspaket für Banken. Bis zum großen amerikanischen Konjunkturprogramm und dem G20-Treffen mit dem Beschluss eines weltweit koordinierten Vorgehens musste man aber bis April 2009 warten – ganze sieben Monate nach dem Höhepunkt der Krise.

Chapeau für die Politik!

Die Krise einordnen

Noch lässt sich schwer sagen, ob dies reicht, um den Börsencrash zu stoppen. Das Hauen und Stechen um Liquidität macht alle leicht handelbaren Finanzinstrumente anfällig. Selbst bei US-Staatsanleihen und Geldmarktfonds gab es Probleme.

Wenn die kurzfristige Panik vorbei ist, werden wir sehen, ob die Unternehmensgewinne gegenüber dem Vorjahr eher um 20 oder vielleicht doch um 40 Prozent einbrechen werden. Zurzeit scheuen viele Unternehmen eine Prognose – denn noch wissen wir nicht, wann die Neuinfektionen wieder zurückgehen und was das alles für die Unternehmen bedeutet.

Die Erfahrungen aus anderen Ländern sprechen dafür, dass wir den Höhepunkt in weiten Teilen der USA vielleicht in 45 bis 60 Tagen erleben. Nur dann wird wirklich klar sein, ob genug getan wurde, um Unternehmen und Konsum am Laufen zu halten. Bis dahin könnten Aktien wie Credits durchaus noch einmal einbrechen.

Am Ende dürften wir diese Krise überstehen. Das Virus wird wieder verschwinden, Geld- und Fiskalpolitik dürften erkennbar helfen und die Märkte werden sich wohl wieder erholen.

Wir gehen davon aus, dass das US-BIP im zweiten Quartal annualisiert um 10 Prozent einbrechen könnte, wenn nicht mehr. Das wäre nur geringfügig weniger als 1932, bei dem bisher schlimmsten Einbruch um damals 13 Prozent. Danach halten wir aber auch eine kräftige Erholung für denkbar. Wem nach guten Nachrichten ist, der könnte nach China schauen. Die Kapazitätsauslastung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wird schon jetzt wieder auf etwa 80 Prozent geschätzt.

Sollte man also risikobehaftete Wertpapiere kaufen, wenn sich die Märkte etwas stabilisieren? Nach einem Kursrutsch dieser Größenordnung halten wir das für verfrüht. Wir glauben nicht, dass man so bald etwas verpasst. Zunächst einmal könnte man schrittweise in krisenfestere Marktsegmente umschichten, etwa in amerikanische Large Caps und Investmentgrade-Credits.

Bis dahin muss man den Aktien- und Anleihemärkten Zeit geben, bis die Kosten der Krise klarer abzusehen sind. Die nächsten Monate, wenn nicht Quartale, können lang werden. Aber am Ende werden wir die Krise überstehen.

 

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