In seinem aktuellsten Marktkommentar erläutert Brad Tank, Chief Investment Officer Fixed Income bei Neuberger Berman, warum ein Blick nach China und Deutschland genügt, um zu erkennen, dass die Industrie weltweit schwächelt.

Überflüssiges Konjunkturbarometer

  • Invertierte Zinsstrukturkurve kein verlässlicher Rezessionsindikator mehr: Ein Blick nach Deutschland genügt, um zu erkennen, dass die globale Weltwirtschaft schwächelt
  • Deutschland im freien Fall: Die Einkaufsmanager-Indizes signalisierten Anfang 2018 noch Wachstum; an der Spitze stand Deutschland. Heute wächst die Industrie nur noch in vier Ländern und Deutschland steht ganz hinten
  • Deutschland sollte sich an China ein Beispiel nehmen: Fiskalpolitische Maßnahmen können einer Rezession entgegenwirken

Letzte Woche wurden schwache Kredit- und Geldmengendaten aus China bekannt. Die Zahlen beunruhigen, weil das Kreditmengenwachstum oft ein guter Frühindikator ist. Wenige Tage später legte China dann die schwächsten Industrieproduktionsdaten seit 17 Jahren vor. Hinzu kamen niedrige Einzelhandelsumsätze, geringe Investitionen und ein leichter Anstieg der Arbeitslosenquote.

Gleichzeitig wurde bekanntgegeben, dass die deutsche Volkswirtschaft im zweiten Quartal geschrumpft ist. Eine Rezession scheint absehbar. Keine 24 Stunden zuvor hatte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) einen kläglichen Konjunkturindikator veröffentlicht.

Bei Neuberger Berman sprechen wir seit einem Jahr über eine weiche Landung in den USA und eine mögliche Stabilisierung des Wachstums anderer Länder. Die weiche Landung erwarten wir noch immer, aber China hat seinen Tiefpunkt vielleicht noch nicht erreicht – und die deutsche Konjunktur scheint im freien Fall.

Mächtige Kräfte

Diese Entwickelung dürfte sich auch im kommenden Quartal fortsetzen. Noch im Januar 2018, nach einem Jahr synchronen Weltwirtschaftswachstums, erreichten viele Aktienmärkte neue Höchststände. Die Einkaufsmanager-Indizes der zwölf größten Volkswirtschaften signalisierten ein Wachstum; an der Spitze stand Deutschland mit 61,1 Punkten. Heute wächst die Industrie nur noch in vier der zwölf Länder und Deutschland steht mit 43,2 Punkten ganz hinten.

Im Grunde war dies schon vor Jahren absehbar. Denn Deutschland profitiert seit vielen Jahren von drei Faktoren: einem, gemessen an der Wirtschaftskraft, schwachen Euro, einer schier unersättlichen Nachfrage nach deutschen Autos und Maschinen und einen wachsenden Anteil am globalen BIP-Wachstum, der durch den internationalen Handel angetrieben wird. Heute hat Deutschland Schwierigkeiten, weil es auf die Veränderungen des internationalen Automobilmarktes nicht wirklich vorbereitet ist und der Anteil des Außenhandels am Welt-BIP seit zehn Jahren schrumpft. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China, der zum Herbst hin weiter zu eskalieren scheint, ist der jüngste, aber auch der wichtigste Baustein dieser Entwicklung.

Wir haben es also mit strukturellen und nicht nur mit konjunkturellen Faktoren zu tun.

Fiskalpolitische Unterstützung

Was also kann der Ausweg sein, wenn sich der weltweite Abschwung der Industrie vor allem in Deutschland zeigt?

Wir haben angesichts der Schwäche der Industrie auf den stabilen Konsum verwiesen. Doch wenn der Abschwung schlimmer wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Stellen abgebaut werden und das Verbrauchervertrauen leidet. Die Verbraucherinnen und Verbraucher allein können die Wirtschaft nicht wieder auf die Beine bringen. Vielleicht stehen der Industrie weltweit große Restrukturierungen bevor, die fiskalpolitischer Unterstützung bedürfen.

Deutschland kann sich hier ein Beispiel an China nehmen. Denn Deutschland orientiert sich noch immer an einem alten Wirtschaftsmodell. Dabei bieten die letzten Jahre des wirtschaftlichen Erfolgs im Vergleich zu anderen Ländern eigentlich den größten fiskalischen Spielraum, um konjunkturellen Schwankungen entgegenzuwirken.

Aber ist eine expansivere Fiskalpolitik in Deutschland realistisch? Dazu müsste sich die politische Kultur stark ändern.

Zweifellos wurden die Risiken erkannt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bezeichnete die jüngsten Zahlen als „Weckruf und Warnsignal“. Deutschland befinde sich in einer schwachen Konjunkturphase, aber noch nicht in einer Rezession. Diese sei vermeidbar, wenn die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Politik und Wirtschaft müssten jetzt gemeinsam handeln, so Altmaier.

Doch wie es auch ausgehen mag: Es drohen Volatilität und Unruhe. Investitionen, die unter der Voraussetzung eines zunehmenden Welthandels und einer stärkeren weltweiten Integration geplant wurden, könnten ausbleiben. Wenn wir bei Neuberger Berman in sechs Wochen erneut die Quartalsaussichten bekanntgeben, wäre es kein Wunder, wenn wir bis dahin eine vorsichtigere und defensivere Position eingenommen haben.

 

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