Von Olivier de Berranger, Chief Investment Officer und Enguerrand Artaz, Fondsmanager La Financière de L‘Echiquier

 

Vergangene Woche gab es ein Zeichen, das Bände spricht: Die Rendite für 10-jährige Bundesanleihen sank vergangenen Donnerstag im Laufe des Handelstages unter den von der Europäischen Zentralbank (EZB) festgelegten Einlagesatz von -0,40 Prozent. Das bedeutet, dass es für Banken nun teurer ist, vom deutschen Staat begebene Anleihen zu halten, als ihre liquiden Mittel bei der EZB zu hinterlegen. Dies spiegelt zunächst eine reale Verknappung von AAA-gerateten Vermögenswerten wider, zeigt jedoch vor allem die Erwartungen der Anleger auf immer niedrigere Zinsen. Nun, da die 10-jährigen Bundesanleihen bei fast -0,40 Prozent rentieren und das US-Pendant erstmals seit 2016 unter die Marke von 2 Prozent gesunken ist, stellt sich die Frage, ob die Renditen noch weiter abrutschen können.

In den USA ist dies durchaus möglich, denn die Rendite für 10-jährige Anleihen liegt noch deutlich über ihren historischen Tiefs (1,36 % Mitte 2016). Der Leitzins der US-Notenbank lag damals jedoch zwischen 0,25 und 0,50 Prozent. Heute liegt er hingegen zwischen 2,25 und 2,50 Prozent. Selbst wenn das von den Märkten erwartete Szenario eintritt und die Fed die Zinssätze in diesem Jahr wie erwartet bis zu dreimal senkt, wird dies den Leitzins lediglich auf eine Bandbreite von 1,50 bis 1,75 Prozent absenken. Wenn man zudem frühere Zeiträume heranzieht, in denen die Zehnjahresrendite wie heute deutlich unter den Leitzins der Fed abgesackt ist (1989 und 2001), wird man feststellen, dass sich die Zehnjahresrendite stabilisiert hat, als die Zentralbank mit der Senkung ihrer Zinssätze begann. Kurzfristig könnten die Renditen auf US-Langläufer daher noch weiter sinken.

In den aktuellen Ständen sind die nächsten Maßnahmen der Fed jedoch bereits zu großen Teilen vorweggenommen. Mit Blick auf die Vergangenheit ist es wahrscheinlich, dass sie nicht viel weiter sinken werden, sobald der Gouverneursrat die erste Zinssenkung vorgenommen hat.

Für Europa ist die Analyse deutlich komplexer, vor allem weil die Situation völlig neuartig ist: Die Renditen liegen in Europa auf historischen Tiefs, und das Abrutschen der 10-jährigen Bundesanleihe unter den Einlagesatz der EZB ist eine Premiere. Mit der Ernennung der als Verfechterin einer lockeren Geldpolitik geltenden Christine Lagarde zur Nachfolgerin von Mario Draghi scheint klar, dass die EZB ihren Einlagesatz in den nächsten Monaten senken wird. Eine Annahme, die durch mehrere Erklärungen und Aussagen von EZB-Mitgliedern gestützt wird.

Während die gesamtwirtschaftliche Lage nach wie vor mau ist und die Inflationserwartungen wieder sinken, besteht Unsicherheit eher im Hinblick auf den Zeitpunkt (Ende Juli oder im Herbst) und den Umfang (10 oder 20 Basispunkte) als auf die eigentliche Durchführung dieses Schritts. Der Schritt selbst dürfte an Maßnahmen geknüpft werden, die die nachteiligen Folgen der Negativzinsen auf die Bankenbranche eindämmen sollen. Zudem wird von Woche zu Woche das Szenario wahrscheinlicher, dass die EZB ihre Wertpapierkaufprogramme wiederaufnehmen wird, auch wenn dies noch etwas auf sich warten lassen dürfte. Auch wenn in den aktuellen Niveaus, wie etwa in den USA, die nächsten geldpolitischen Entscheidungen zu einem großen Teil eingepreist sind, ist es wahrscheinlich, dass die Renditen in der Eurozone weiter sinken werden. Die 10-jährige Bundesanleihe könnte beispielsweise mit der 10-jährigen Anleihe der Schweiz gleichziehen (-0,65 %).

Obwohl ein gutes Stück des Weges bereits zurückgelegt ist, besitzen Staatsanleihen der Kernländer in einem Portfolio weiterhin Potenzial. Interessant erscheint zwecks Diversifizierung dennoch eine Betrachtung der europäischen Peripherieländer (insbesondere Italiens), wo es weiterhin ein Potenzial zur Verringerung des Spread (Renditeabstand zu den Kernländern) gibt. Gleiches gilt für Schwellenländeranleihen, deren Carry nach wie vor deutlich positiv ist und die von den Zinssenkungen der Fed und der EZB sowie einer wahrscheinlichen Dollar-Abschwächung profitieren dürften.

 

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