Atradius sieht einen weiteren Anstieg der Forderungsrisiken in der Automobilbranche, insbesondere aufgrund schwindender Liquidität bei zahlreichen kleineren und mittleren Zulieferern.
Allein 2018 hat sich die Zahl Abnehmer in diesem Segment, die der internationale Kreditversicherer als kritisch und sehr anfällig für Zahlungsausfälle einstuft, mehr als verdoppelt gegenüber dem Vorjahr. Damit schätzt Atradius das Forderungsrisiko für Lieferanten und Dienstleister von Zulieferern aktuell so hoch ein wie seit der Finanz- und Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren nicht mehr. Zudem geht der Kreditversicherer davon aus, dass sich die Zahl der Insolvenzen und Zahlungsausfälle in der Automobilbranche noch weiter erhöht. Das geht aus einer internen Analyse der Risikoprüfer des Unternehmens hervor. Betroffen waren Firmen unterschiedlicher Ausrichtung, etwa Hersteller von Komponenten für Verbrennungsmotoren, Antriebssträngen, Kraftstoffleitungen oder von Unterhaltungselektronik für Fahrzeuge.
„Mit der Dieselaffäre hat sich der Wandel in der Automobilindustrie erheblich beschleunigt. Die Lieferanten und Dienstleister der Zulieferer bekommen das jetzt auch im Forderungsmanagement durch zunehmende Zahlungsausfälle und
-verzögerungen zu spüren“, sagt Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS von Atradius. „Angesichts des anhaltenden Mobilitätswandels und der wachsenden Herausforderungen in der internationalen Wirtschaft rechnen wir damit, dass sich die Zahl der Insolvenzen unter den Zulieferern auf absehbare Zeit um bis zu 30 % erhöhen wird.“
Herausforderungen in der Automobilbranche nehmen immer mehr zu
Aus Sicht von Atradius werden die Veränderungsprozesse in der Automobilindustrie unter anderem vom vermehrten Einsatz von Elektroantrieben, von autonom fahrenden Mobilen, der fortschreitenden Digitalisierung, alternativen Mobilitätskonzepten wie Carsharing sowie zunehmenden Umweltanforderungen vorangetrieben.
Einen der jüngsten Einschnitte im Geschäftsverlauf der Automobilbranche stellte die Einführung des weltweiten Verbrauchs- und Abgasstandards WLTP (Worldwide Harmonised Light-Duty Vehicles Test Procedure) im vergangenen Jahr dar. Aufgrund mangelnder Prüfkapazitäten für das neue Testverfahren konnten Hersteller nicht die ursprünglich kalkulierte Menge an Neufahrzeugen produzieren. Gleichzeitig gingen infolge der WLTP-Einführung auch die Bestellungen von Fahrzeugen zurück, da viele Käufer erst einmal die Zertifizierung ihrer ausgewählten Modelle abwarten wollten. Zudem sind nach der Einführung des neuen Verbrauchs- und Abgasstandards auch die konjunkturellen Unsicherheiten für die Hersteller weiter gestiegen. Das alles führt dazu, dass bis heute insgesamt weniger Neufahrzeuge produziert werden als vor dem Inkrafttreten des WLTP.
Vor allem Dieselfahrzeuge werden im Privat- und Gewerbebereich immer unpopulärer. Das wirkt sich unter anderem erheblich auf die Liquidität von Zulieferern aus, die bisher noch mit Komponenten für Benziner- und Dieselfahrzeuge erfolgreich wirtschaften konnten. Die Komplexität in benzingetriebenen Autos ist insgesamt geringer als in Dieselfahrzeugen, zudem sind die Benziner-Bauteile im Regelfall günstiger, so dass sich die Marge vieler Zulieferer verringert. Daher ist das Forderungsrisiko aus Sicht von Atradius jetzt bei den Anbietern besonders groß, die bisher deutlich mehr Umsatz und häufig auch höhere Margen mit Diesel- als mit Benziner-Komponenten erwirtschaftet haben.
Auswirkungen von China und USA auf die Automobilindustrie
Atradius geht außerdem davon aus, dass die weitere Entwicklung des Forderungsrisikos in der Automobilindustrie in großem Maße auch von der Politik der chinesischen Regierung abhängt. Das Reich der Mitte ist der mit Abstand größte Automarkt der Welt mit mehr als 23 Millionen verkauften Pkw im vergangenen Jahr. Mit der Einführung einer Elektromobilquote könnte China die Verkaufszahlen von Benzinern empfindlich beeinflussen. Diese Politik dürfte nach Einschätzung des Kreditversicherers die Investitionsstrategie der Hersteller maßgeblich bestimmen – und damit auch, welche Bestandteile künftig gefragt sein werden und welche nicht. Anbieter, deren Produkte derzeit noch Verwendung finden, müssen finanziell stark aufgestellt sein, um sich zu transformieren, und um im internationalen Wettbewerb weiter mithalten zu können. Gleichzeitig sind die Eintrittsbarrieren für neue Akteure im Elektromobilitätsbereich verhältnismäßig niedrig. So entstehen derzeit viele neue Wettbewerber, zunächst für die Zulieferer, mittelbar aber auch für die Hersteller selbst.
Verhältnismäßig gering schätzen die Risikoexperten von Atradius hingegen die Auswirkungen von möglichen US-Strafzöllen auf die Zulieferer ein. Viele von ihnen sind den Herstellern in die USA gefolgt und produzieren mittlerweile auch im Land selbst, so dass sich Strafzölle nur moderat auf das Forderungsrisiko auswirken dürften.
Zulieferer sind die größten Leidtragenden der Veränderung
„Die Automobilindustrie befindet sich derzeit im wohl größten Wandel seit ihrem Bestehen“, sagt Michael Karrenberg. „Das gesamte Geschäft ist immer schwieriger zu planen und unvorhersehbarer geworden, die Innovationszyklen verkürzen sich.“ Problematisch ist dies vor allem für die Zulieferer vor dem Hintergrund, dass zwischen der Auftragserteilung und der Auslieferung meist mehrere Jahre liegen. Zulieferer tragen meist eine hohe Belastung durch Vorfinanzierung. Gleichzeitig müssen sich insbesondere die kleinen und mittelgroßen Akteure auf weitere Herstellervorgaben einlassen, zum Beispiel Flexibilität bei der Produktion von Serienteilen zeigen, um Schwankungen bei den Absatzzahlen der Modelle gerecht zu werden. Wird eine geringere Stückzahl abgenommen als ursprünglich geplant, erhalten die Zulieferer in der Regel zwar eine Entschädigung. Diese reicht häufig jedoch nicht aus, um Unterauslastungen in der Produktion auszugleichen. So entstehen häufig finanzielle Lücken, die die kleineren und mittleren Anbieter in der Regel härter treffen als die größeren. Da die Margen der Zulieferer schon lange unter Druck sind, erhöht das das Forderungsrisiko zusätzlich.
„Für den weltweiten Automobilmarkt gehen wir von einem immer schnelleren Transformations-Tempo aus. Die vielen Herausforderungen der OEM erfordern hohe Investitionen. Um den Finanzbedarf hierfür aufzubringen, wird sich der Preis- und Vorfinanzierungsdruck auf die Zulieferer weiter erhöhen. So werden die Zulieferer auch in der aktuellen Entwicklung der Branche die größten Leidtragenden sein“, sagt Michael Karrenberg.
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