Marktkommentar von Joseph V. Amato, Vorsitzender und Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman
Im Oktober hat der Ausverkauf an den Aktienmärkten für Schlagzeilen gesorgt. Die Anleger sollten darüber aber nicht vergessen, dass die wirklich großen Veränderungen an den Anleihemärkten stattgefunden haben. Oft geht eine Wende am Anleihemarkt einer Aktienmarktwende voraus, da die Diskontfaktoren, also die Abzinsung von Aktien mithilfe der risikolosen Staatsanleihezinsen berechnet werden und es letztlich die Kreditvergabe ist, die die Privatwirtschaft am Laufen hält. Erstmals in diesem Jahr kamen die Kreditmärkte wirklich unter Druck. Denn letzte Woche ließ Fed-Chairman Jerome Powell eine echte Bombe platzen, als er sich zur Zinspolitik äußerte.
„Knapp neutral“
Noch am 3. Oktober hatte Powell erklärt, dass die US-Zinsen „weit entfernt von neutral“ seien. Bis zu einem Niveau, auf dem sie die Inflation weder anheizen noch dämpfen würden, sei es noch weit. Letztlich hat genau diese Aussage den Aktienmarktausverkauf im Oktober ausgelöst. Am Mittwoch dann beschrieb Powell die Leitzinsen zur Überraschung vieler Marktteilnehmer als „knapp neutral“. Das Ausmaß dieser 180-Grad-Wende zeigte sich in der anschließenden Kursentwicklung: Der S&P 500 Index stieg an nur einem Tag um 2,3 Prozent, und an den Anleihemärkten schien man plötzlich von nur noch 1,5 Zinsschritten für 2019 auszugehen, während die Fed stets drei in Aussicht gestellt hatte. US-Staatsanleihen waren gefragt, der US-Dollar-Index verlor 0,55 Prozent und Emerging-Market-Titel erhielten massiven Auftrieb.
Zinserhöhungszyklen sind für die Märkte oft nicht einfach. Eine mögliche Zinspause oder ein Ende des Zinszyklus könnten daher etwas Gutes sein. Und doch scheint es intutitiv wenig plausibel, dass risikobehaftete Titel auf diese Nachricht so positiv reagierten.
Schließlich betonte Powell, dass die Fed die Wirtschafts- und Finanzdaten „sehr genau beobachten“ werde. Offensichtlich fürchtet er ein schwächeres Wachstum sowie eine niedrigere Inflation und sorgt sich um die Stabilität der Märkte. Wenn die Renditen auch ohne Leitzinserhöhungen weitgehend neutral sind, impliziert dies pessimistischere Wachstumserwartungen, eine höhere Wahrscheinlichkeit von Marktschocks oder sogar beides.
Kreditmärkte und Außenhandel
Die Kreditmärkte könnten ähnliche Befürchtungen aufkommen lassen. Im November war die Stimmung an den Unternehmensanleihemärkten schlecht. Die Spreads für Hochzinsindizes sind nun etwa 60 Basispunkte breiter als zu Jahresbeginn, wobei 75 Prozent dieser Spreads auf den November fielen. Momentan liegen sie gegenüber US-Staatsanleihen bei etwa 400 Basispunkten. Im Euroraum war der Ausverkauf von High Yield ähnlich stark.
Am schlechtesten schnitten die risikoreichsten High-Yield-Papiere ab, also Titel mit CCC-Rating. Zyklische Sektoren wie Energie und Wohnungsbau sowie exportorientierte Branchen wie Automobile verzeichneten die höchsten Verluste. Im Investmentgrade-Bereich wurde das Rating von General Electric Ende Oktober auf BBB+ herabgestuft, doch im November schienen die Papiere eher als BB-Anleihen wahrgenommen zu werden. Dies weckte Zweifel an anderen großen BBB-Emittenten mit nachlassender Kreditqualität. Man fragte sich, ob der High-Yield-Markt noch mehr gefallene Engel aufnehmen kann.
Nachlassendes Wachstum und Handelskonflikte sorgen weiter für Schlagzeilen. Der Markt setzt auf ein konstruktives Ergebnis, aber ein umfassenderer neuer Ansatz für den Handel mit China wird ein viel längerfristiges Projekt mit vielen Höhen und Tiefen sein.
Perspektiven
Die Entwicklung der Anleihemärkte sollte aber auch aus einer anderen Perspektive betrachtet werden. Vielleicht sieht die Fed dunkle Wolken, die für andere unsichtbar sind. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Notenbank jetzt jenen Abschwung registriert, der den Märkten schon seit einiger Zeit bewusst war. Das verringert das Risiko, dass sie die Zinsen im nächsten Jahr zu stark anhebt – was für Aktien voraussichtlich gut wäre.
Der Aktienmarktausverkauf im Oktober dieses Jahres war eher eine spätzyklische Korrektur als ein Ende des Zyklus. Heute scheint es einen ähnlichen Ausverkauf am Kreditmarkt zu geben. Sicherlich weckt der Rückzieher der Fed in der letzten Woche gewisse Glaubwürdigkeitszweifel. Beruht das auf Daten oder eher auf bestimmten Twitter-Nachrichten, die von der gesamten Welt in letzter Zeit verfolgt werden?
Unabhängig davon, wenn weiterhin Kredite vergeben werden, sich die Zinsen stabilisieren, und die Unsicherheit im Außenhandel nachlässt, sieht es für die Aktienmärkte etwas weniger beängstigend aus als vor einem Monat. Die Powell-Rallye risikobehafteter Wertpapiere ist vielleicht doch gar nicht so unplausibel.
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