Beitrag von RA Stephan Michaelis LL.M., Fachanwalt für Versicherungsrecht

 

Kaum ein Thema hat die nationale sowie internationale Presse in den vergangenen Monaten so beschäftigt wie der bevorstehende Brexit. Nicht nur von den Medien ist viel berichtet worden, sondern auch die treibenden politischen Kräfte auf europäischer wie britischer Seite haben getagt, beraten und gestritten. Völlig unklar ist derweil aber, was für einen Brexit wir erleben werden. Gelangen Europa und Großbritannien noch zu einer Einigung oder kommt es zum viel zitierten harten Brexit? Während das Gros der Berichterstatter zu Anfang noch davon ausging, dass sich die Parteien würden einigen können, scheint nun ein harter Brexit immer wahrscheinlich zu werden. Dies wird nicht zuletzt auch dadurch deutlich, dass sich mittlerweile selbst in Deutschland die Stimmen mehren, die von der Regierung fordern, gesteigerte Vorbereitungsmaßnahmen für ein solches Szenario zu entwickeln. In Abwesenheit einer klaren Trennungsvereinbarung wächst vor allem eines und das ist die Unsicherheit. Neben die Verwirrung der Bevölkerung tritt dabei die Besorgnis der Wirtschaftsunternehmen. Sie wollen Vorsorge betreiben, um nachteiligen Folgen des Brexits vorzubeugen, können es aber kaum, da sich kein politisches Ergebnis abzeichnet. Für den Brexit gilt: Sicher ist nur, dass Großbritannien die EU am 29. März 2019 verlassen wird. Das ist nicht mehr lange hin! Alles andere bleibt bis heute ungeklärt, aber bald werden die Versicherungsnehmer die Berater und Vermittler fragen, welche Folgen der Brexit für die Versicherungsverträge haben wird?

Verlust des EU-Passporting zwingt Versicherer zur Gründung neuer Tochtergesellschaften

Diesem Dilemma sieht sich selbstverständlich auch das deutsche Versicherungsgeschäft ausgesetzt, dass als Teil einer international-vernetzten Finanzbranche besonders durch den Brexit betroffen ist. Aller Voraussicht nach steht fest, dass Großbritannien im Verhältnis zu den verbleibenden EU27 ein Drittstaat wird und damit aus dem gemeinsamen Binnenmarkt ausscheidet. Dies hat sowohl westlich als auch östlich des Ärmelkanals wechselseitige Folgen.

Die vordringlichste Folge ist wohl der Verlust der sogenannten Passporting-Rechte. Das Passportingsystem erlaubt es Banken und anderen Finanzdienstleistern, die in einem Mitgliedsstaat der EU oder des EWR ansässig sind, mit nur minimalen zusätzlichen Genehmigungserfordernissen auch in anderen Ländern des europäischen Binnenmarktes tätig zu werden. Auf Grundlage dieser Regelung ist es deutschen Versicherungsgesellschaften bislang möglich mit britischen Kunden oder umgekehrt Vertragsbeziehungen einzugehen.

Durch den Brexit fällt diese Möglichkeit in Bezug auf Großbritannien fort, woraus sich unmittelbare Konsequenzen für den deutschen Versicherungsmarkt ergeben. Auf der einen Seite verlieren alle deutschen Versicherungsgesellschaften ihre Zulassung auf dem britischen Markt, es sei denn, dass sie das betroffene Auslandsgeschäft bereits heute über eine britische Tochtergesellschaft führen. Auf der anderen Seite verlieren auch alle britischen Versicherer ihre Zulassung in Deutschland, wenn sie nicht über eine inländische Tochtergesellschaft operieren. Das ist für Ihrer Kunden sehr wichtig zu wissen.

Versicherer auf beiden Seiten werden auf den Verlust des Passportings mit der Gründung ausländischer Tochtergesellschaften reagieren und so sicherstellen, dass sie auf den gegenseitigen Märkten handlungsfähig bleiben. Auf diese Weise können beispielsweise die deutschen Versicherungsgesellschaften auch in Zukunft Verträge mit britischen Kunden eingehen. Dass sich hierdurch die Verwaltungskosten für ein solches Geschäft erhöhen werden, ist sicher unliebsam, muss aber gleichzeitig auch nicht als allzu empfindliches Übel aufgefasst werden. Derzeit sind deutsche Versicherer mit einem Prämienvolumen von circa 1,5 Milliarden Euro auf dem britischen Markt involviert. Wesentlich schwieriger stellt sich allerdings in beide Richtungen der Umgang mit bestehenden Policen dar. Insbesondere in dieser Hinsicht wirkt sich das Nichtvorhandensein eines Brexit-Deals negativ aus. Es ist zwar bereits heute so, dass Policen britischer Versicherer mit deutschen Kunden dem hiesigen Versicherungsvertragsrecht unterliegen bzw. vice versa, allerdings steht die Durchführbarkeit der Verträge durch den mit dem Ende des Passportings einhergehenden Zulassungsverlust infrage.

Während das Sach- und Unfallgeschäft aufgrund seiner typischerweise kürzeren Vertragslaufzeiten hiervon nur partiell berührt ist, betrifft es vor allem Lebensversicherungsverträge. Diese sind als Teil einer Altersvorsorge regelmäßig auf sehr lange Sicht abgeschlossen und werden deshalb größtenteils den Stichtag des Brexits erleben. Hierbei liegt es im gemeinsamen Interesse von Versicherern und Versicherten, dass die Verträge ohne größere Friktionen fortgeführt werden können. Die deutschen Versicherer fordern deshalb, dass ein möglicher Brexit-Deal die Fortführung der Verträge nach bestehenden Regularien garantiert. Insbesondere der Zugang zu den jeweiligen Sicherungssystem (wie etwa Protektor hierzulande) müsse dem Grunde nach ermöglicht werden.

Drohende Undurchführbarkeit langfristiger Policen im Fokus

Für Versicherungsmakler ist dabei vornehmlich das Verhältnis zu britischen Versicherungsgesellschaften, die Kunden in Deutschland bedienen, entscheidend. Nur selten wird ein inländischer Versicherungsmakler Produkte deutscher Versicherungen nach Großbritannien vermitteln. Insgesamt lässt sich erkennen, dass der Versicherungsmakler selbst vor allem im Bestandskundengeschäft betroffen ist. Durch die beidseitige Gründung neuer Tochtergesellschaften wird die Angebotslandschaft und -vielfalt für das Neugeschäft vermutlich erhalten bleiben. Gerade auch britische Versicherer werden auf dem deutschen Markt präsent bleiben, obgleich die Anzahl der Versicherer insgesamt sinkt. Dabei ist auch nicht zwingend vorauszusehen, dass die einzelnen Produkte signifikanten Preissteigerungen unterliegen werden.

Im Bestandskundengeschäft hingegen muss zwischen den verschiedenen Versicherungssparten unterschieden werden. In Bereichen wie Sach und Unfall können die Verträge aufgrund ihrer kurzen Laufzeit unmittelbar auf eine neue Tochter übertragen bzw. mit dieser neu abgeschlossen werden. Bei den lange laufenden Lebensversicherungsverträgen verhält es sich aber gerade anders. Diese könnten theoretisch „undurchführbar“ werden, wenn die britischen Versicherungen ihre deutsche Lizenz verlieren.

Auf dieses Risiko haben bereits einige britische Versicherer reagiert, indem sie begonnen haben, bestehende Verträge im Wege eines sog. Part-VII-Transfers in einen anderen Rechtsraum zu übertragen. So hat z.B. Hiscox angekündigt, alle europäischen Policen auf eine Tochter in Luxemburg und damit in den europäischen Binnenmarkt zu übertragen. Durch einen solchen Transfer ist der friktionsfreie Fortbestand der Versicherungen gesichert. Neben Hiscox planen etwa auch Admiral, RSA und AIG solch einen Transfer. Ob derartige Schritte am Ende wirklich nötig sind, lässt sich zurzeit nicht sinnvoll bewerten. Wie viele britische Versicherer dem Beispiel folgen werden oder nicht, hängt vor allem davon ab, welche Richtung die Verhandlungen um den Brexit einschlagen. Im Falle einer rechtskräftigen Übergangslösung könnte sich der Transferaufwand nämlich als überflüssig erweisen. Hier obliegt es den Maklern jedenfalls, das politische Geschehen genau zu beobachten, um sicherzustellen, dass die Verträge der eigenen Kunden keinem Risiko ausgesetzt sind. Je näher der Stichtag des Brexits rückt, desto mehr Sicherheit im Umgang mit den potenziell bedrohten Verträgen ist von den britischen Versicherern zu erwarten.

Deutsche Versicherer warnen vor möglichen Wettbewerbsnachteilen

Neben dem wohl dringlichsten Problemkreis rund um das Thema Passporting, ist vor allem auch die Frage nach dem künftigen Wettbewerb zwischen europäischen und britischen Versicherungsgesellschaften interessant. In Europa unterfallen alle Versicherer dem Regime von Solvency-II. Das führt insbesondere dazu, dass die vorzuhaltenden Kapitalreserven europaweit einheitlich geregelt sind. Durch den Brexit scheiden britische Versicherer aus der europäischen Versicherungsaufsicht aus. Der GDV zeigt sich insoweit besorgt, dass kein Brexit-Deal auf Basis von Solvency-II erreicht werden kann. Dies würde vor allem die Gefahr mit sich bringen, dass die britische Regierung die Anforderungen im Vergleich zu Solvency-II lockert. Durch das potenziell freiwerdende Kapital könnte den britischen Versicherungsgesellschaften ein Wettbewerbsvorteil entstehen.

In einer ersten Gesamtschau kann mithin festgehalten werden, dass durch den Brexit keine gravierenden Änderungen innerhalb der deutschen Versicherungswirtschaft zu erwarten sind. Sollte tatsächlich noch ein umfangreicher Brexit-Deal, der auch Übergangsreglungen für die Versicherungswirtschaft beinhaltet, zwischen der EU und Großbritannien erreicht werden, wird der Brexit kaum spürbar sein. Sollte ein solcher Deal hingegen verfehlt werden, stehen insbesondere langfristige Versicherungsverträge auf dem Prüfstand. Die Beteiligten müssen insoweit sicherstellen, dass die bestehenden Verträge, insbesondere im Bereich der Kapitalanlage durchführbar bleiben, ohne dass hierbei eine Verkürzung des Kundeninteresses eintritt. Es ist die Aufgabe der Versicherer, hierrüber umfassend die Kunden rechtzeitig zu informieren. Natürlich wäre es auch normal, wenn die Vermittler mindestens gleichzeitig ebenfalls informiert werden. Wenn Sie als Makler nichts hören, dann fragen Sie nach und unterrichten ihre Kunden!

Insgesamt ist zu hoffen, dass Fortschritte in den Brexitverhandlungen erreicht werden können, auf dass sich für alle Beteiligten Klarheit einstellt. Erst dann kann eine abschließende – über den vorangegangenen Ausblick hinausgehende – Bewertung der Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft, den Makler und den Kunden erfolgen.

 

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