Kommentar von Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel

Sicherlich hatten Ende Januar die Wenigsten gedacht, dass die Kursentwicklung an den internationalen Börsen so fulminant weitergehen würde wie in den letzten Wochen. Dass die ersten beiden Februar­Handelstage jedoch so schlecht ausfallen würde, dürfte die meisten Anleger dann doch überrascht haben.

Erstaunlich war insbesondere der Auslöser des jüngsten Kursrutsches: Mario Draghi,
Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) hielt am 25. Januar seine turnusgemäße
Pressekonferenz zur Erläuterung des monatlichen Zinsentscheides ab. Wie in den letzten Monaten üblich, verdeutlichte er, dass das laufende Wertpapierkaufprogramm bis September dieses Jahres weiterlaufen wird. Auch, dass die erste Leitzinserhöhung voraussichtlich nicht vor 2019 zu erwarten ist, war keine Neuigkeit. Trotzdem reagierten die Marktteilnehmer enttäuscht und die Aktienkurse drehten gen Süden. Was war passiert?

Starker Euro und steigende Zinsen verstimmen die Anleger

Viele hatten erwartet, dass Draghi zur jüngsten Aufwertung des Euro deutlich Stellung nehmen werde. Doch das tat er offensichtlich nicht klar genug. Im Gegenteil äußerte er sich sehr zuversichtlich gegenüber der konjunkturellen Entwicklung in der Eurozone. Vor allem die starke Dynamik und auffällige Robustheit in der 2. Jahreshälfte 2017 waren überraschend, so Draghi. Prompt stieg der Kurs der Gemeinschaftswährung noch während der Pressekonferenz deutlich an. Seit Anfang 2018 wertete sie damit von 1,20 EUR/USD auf zeitweise 1,25 EUR/USD auf. Weil eine starke Währung exportorientierten Unternehmen den Absatz erschwert, konnte der Index deutscher Standardaktien DAX sein kurz zuvor erreichtes Allzeithoch bei gut 13.500 Punkten nicht mehr halten.

In der Folge fiel dann auch noch die Notierung des Euro­Bund­Futures, der die Kursentwicklung einer fiktiven Bundesanleihe mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren widerspiegelt, unter die wichtige charttechnische Marke von 160 Punkten. Die Rendite sprang auf über 0,7% p.a. und damit um gut 25 Basispunkte im Vergleich zum Jahresanfang auf den höchsten Stand seit Anfang 2016. Auch in den USA stiegen parallel die Zinsen bei längeren Laufzeiten deutlich an.

Nun kannten die Kurse kein Halten mehr. Der DAX verlor allein in den ersten beiden Februartagen 4% und notierte unter dem Jahresendstand 2017. US­Aktien des Dow Jones Industrial gaben im gleichen Zeitraum 3% nach. Selbst der Gold­ Kurs verlor leicht und auch die Kryptowährung Bitcoin war kein sicherer Hafen. Dessen rasanter Verfall hielt an und bescherte seinen Besitzern seit Jahresanfang ein Minus von mehr als 50%.

Auf der Suche nach dem “normalen” Renditeniveau

Der Renditeanstieg kann als Vorzeichen einer früher oder später notwendigen Normalisierung des durch die EZB­ Aktionen überlagerten Anleihemarktes angesehen werden. Damit stellt sich die Frage nach dem Potenzial des Zinsanstiegs. Wo müsste die Rendite liegen, wenn die EZB den Krisenrettungsmodus beendet?

Im Fall der Bundesanleihen sind die wesentlichen Komponenten für die Zusammensetzung der Rendite die Kompensation des Anlegers für das Inflations­ und das Zinsänderungsrisiko. Steigende Inflation verwässert die nominale Rendite, Zinsanstiege lassen die Kurse der Anleihen fallen, also muss ein Anleger durch einen entsprechenden Ertrag kompensiert werden. Setzt man das Inflationsrisiko gleich der aktuellen Verbraucherpreissteigerung von etwa 1,5% und preist man das mögliche Zinsänderungsrisiko ein, in dem man den Vergleichswert aus den USA betrachtet (ca. 0,5% als Differenz zwischen der Rendite einer zehnjährigen US­Staatsanleihe und der US­Inflation), dürfte ein realistischer Wert der Rendite einer zehnjährigen Bundesanleihe derzeit bei mindestens 2% p.a. liegen.

Bei einer weniger expansiv ausgerichteten Geldpolitik der EZB wird sich die Rendite daher mittelfristig an diesen Wert annähern. Als wichtige Variable zur Entwicklung der Renditen am Anleihenmarkt wird demzufolge insbesondere auch die konjunkturelle Lage des Europäischen Währungsraums als Treiber der Inflationserwartungen eine Rolle spielen. Da diese so positiv aussieht, verlieren deutsche Bundesanleihen als sicherer Hafen in Krisenzeiten an Stellenwert. Das untermauert das Zinssteigerungspotenzial. Der seit Jahresanfang zu beobachtende Anstieg der Renditen könnte sich also als übergreifender Trend herausstellen, der mit einem möglichen Laufzeitende des Kaufprogramms der EZB Ende September diesen Jahres weiter an Fahrt aufnehmen dürfte.

Nur kurzfristig Sturm im Wasserglas

Dass Aktienkurse auch einmal deutlich fallen können, hatten wohl viele Anleger angesichts der fast linear steigenden Notierungen seit September 2017 schlicht verdrängt. Umso heftiger sorgte die jüngste Korrektur für einen schnellen Anstieg des Angstniveaus gemessen am DAX­Volatilitätsindex VDAX­New, der innerhalb weniger Tage auf 20 Punkte anstieg. Diese Entwicklung lässt für die kommenden Wochen hoffen. Auch wenn sich an einen schnellen und heftigen Kursverlust über das Auslösen von Stopp­Loss­Orders zur Kurssicherung noch eine weitere kurzfristige Abwärtsbewegung anschließen kann, ist ein deutlicher Anstieg der Volatilität ein gutes Zeichen. Viele haben sich offensichtlich bereits in einem Anflug von Panik von Positionen getrennt, um aufgelaufene Gewinne zu sichern. Diese Anleger werden aber mangels guter Alternativen früher oder später wieder an den Markt zurückkehren müssen. Eines dürfen wir nicht vergessen: Zwischenzeitliche Korrekturen um 10% bis 15% sind an den Aktienbörsen keine Seltenheit. Es ist gut möglich, dass genau so eine Entwicklung bevor steht.

Goldlöckchen unterstützt die Aktienbörsen

Danach sollten die Kurse sich aber relativ schnell wieder erholen. Dafür spricht ebenfalls die gute konjunkturelle Verfassung der globalen Ökonomie. Selten gab es weltweit einen so synchronen Aufschwung wie derzeit, wovon insbesondere exportorientierte deutsche und europäische Unternehmen profitieren. Die US­Konjunktur erhielt durch die Steuerreform neues Futter und dürfte noch bis mindestens 2019 expandieren. Sogar einige deutsche und europäische Unternehmen profitieren von den niedrigeren Steuersätzen und hoben ihre Gewinnprognosen an.

In Deutschland sprechen Ökonomen derzeit sogar von einem Goldlöckchen­Szenario, also der bestmöglichen Verfassung einer Volkswirtschaft. Neben einem ordentlichen Wirtschaftswachstum und einer moderaten Inflation gibt es nahezu eine Vollbeschäftigung am Arbeitsmarkt und relativ niedrige Zinsen. Zudem sind die Preise von Aktien, Immobilien und anderen Anlagen gestiegen, wodurch der Konsum untermauert wird. Der hohe Auslastungsgrad der Unternehmen sorgt für anziehende Ausrüstungsinvestitionen. Sobald sich die neue Bundesregierung gefunden hat, dürften auch von staatlicher Seite fiskalische Impulse das Wachstum ankurbeln.

Idealtypisch wird eine Goldlöckchen­Ökonomie von einer Phase der Überhitzung abgelöst, die tatsächlich von einigen Wirtschaftsforschungsinstituten bereits prognostiziert wird. Sollte es dazu kommen, steht den Aktienmärkten noch ein weiterer Anstieg bevor. Neue Rekordniveaus im weiteren Jahresverlauf sind nicht unwahrscheinlich.

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